Kinderbetreuung: Schadensersatzanspruch für Eltern ohne Betreuungsplatz

Mit dem sog. Kinderförderungsgesetz (KiFöG) vom 10.12.2008 wurde der Ausbau der Kinderbetreuung bis zum 31.7.2013 vorangetrieben und ab dem 1.8.2013 der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder im Alter von zwei und drei Jahren eingeführt. „Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Der Umfang der täglichen Förderung richtet sich nach dem individuellen Bedarf“ (§ 24 Abs. 2 SGB VIII).

Was aber gilt, wenn trotz des gesetzlichen Rechtsanspruchs die Stadt oder Gemeinde keinen Kita-Platz zur Verfügung stellt bzw. stellen kann? Haben die Eltern dann einen Anspruch auf Schadensersatz gegenüber der Kommune, wenn sie wegen selbst übernommener Betreuung erst später an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können und einen Verdienstausfall hinnehmen müssen? Oder wenn sie für die Betreuung eine private Tagesmutter selbst bezahlen müssen?

Aktuell hat der Bundesgerichtshof eine wichtige Entscheidung von immenser Tragweite gefällt: Eltern können von der Gemeinde oder Stadt den Ersatz ihres Verdienstausfallschadens verlangen, wenn die Kommune ihren Kindern nach dem ersten Lebensjahr keinen Betreuungsplatz zur Verfügung stellt und sie deshalb einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen können. Die verantwortliche Kommune muss aber nur dann zahlen, wenn sie den Mangel verschuldet hat. Und dafür spricht zugunsten der Eltern bereits der „Beweis des ersten Anscheins“ (BGH-Urteile vom 20.10.2016, III ZR 278/15, 302/15 und 303/15).

Der Fall: Die Mütter beabsichtigten, jeweils nach Ablauf der einjährigen Elternzeit ihre Vollzeit-Berufstätigkeit wieder aufzunehmen. Unter Hinweis darauf meldeten sie für ihre Kinder wenige Monate nach der Geburt bei der Stadt Bedarf für einen Kinderbetreuungsplatz für die Zeit ab der Vollendung des ersten Lebensjahres an. Doch die Stadt hat ihnen keinen Betreuungsplatz zugewiesen. Deshalb verlangten die Mütter für den Zeitraum zwischen der Vollendung des ersten Lebensjahres ihrer Kinder und der späteren Beschaffung eines Betreuungsplatzes Ersatz des ihnen entstandenen Verdienstausfalls.

Die Richter bejahen einen Schadensersatzanspruch aus Amtshaftung gemäß § 839 Abs. 1 BGB. Eine Amtspflichtverletzung liegt bereits dann vor, wenn der zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe einem gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII anspruchsberechtigten Kind trotz rechtzeitiger Anmeldung keinen Betreuungsplatz zur Verfügung stellt.

  • Die Amtspflicht ist nicht durch die vorhandene Kapazität begrenzt. Vielmehr ist der verantwortliche öffentliche Träger der Jugendhilfe gehalten, eine ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen selbst zu schaffen oder durch geeignete Dritte – freie Träger der Jugendhilfe oder Tagespflegepersonen – bereitzustellen. Insoweit trifft ihn eine unbedingte Gewährleistungspflicht.
  • Die Amtspflicht umfasst auch den Schutz der Interessen der Eltern. Dazu gehören auch Verdienstausfallschäden, die Eltern dadurch erleiden, dass ihre Kinder keinen Betreuungsplatz erhalten. Zwar steht der Anspruch auf einen Betreuungsplatz allein dem Kind selbst zu, doch die Einbeziehung der Eltern und ihres Erwerbsinteresses in den Schutzbereich der Amtspflicht ergibt sich aus der Regelungsabsicht des Gesetzgebers sowie dem Sinn und Zweck von § 24 Abs. 2 SGB VIII.
  • Mit dem Kinderförderungsgesetz, insbesondere mit der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz, beabsichtigte der Gesetzgeber neben der Förderung des Kindeswohls auch die Entlastung der Eltern zu Gunsten der Aufnahme oder Weiterführung einer Erwerbstätigkeit. Es ging ihm auch um die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben und um die Schaffung von Anreizen für die Erfüllung von Kinderwünschen.

Der Schadensersatzanspruch aus Amtshaftung besteht nicht nur bezüglich eines Verdienstausfalls, sondern auch dann, wenn die Eltern mangels öffentlich-gefördertem Kita-Platz auf eigene Kosten eine Betreuung für ihr Kind organisieren, z.B. eine Tagesmutter bezahlen.

  • Das Verwaltungsgericht Darmstadt hat entschieden, dass der Landkreis den Eltern privat gezahlte Beträge für die Kinderbetreuung erstatten muss (VG Darmstadt vom 13.9. 2016, 5 K 404/14.DA).
  • Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat entschieden, dass die Stadt Mainz die Kosten für den Besuch zweier Kinder im Waldorfkindergarten übernehmen muss, denen sie wegen fehlender Kapazitäten keinen Kita-Platz zur Verfügung stellen konnte (OVG Rheinland-Pfalz vom 1.9.2016, 7 A 10849/15.OVG).
  • Der Verwaltungsgerichtshof Bayern hat entschieden, dass die Stadt München die Kosten für einen von den Eltern selbst beschafften Krippenplatz tragen muss, nachdem die Eltern bei städtischen Einrichtungen nur Absagen erhalten hatten (VGH Bayern vom 22.7.2016, 12 BV 15.719)
  • Das Bundesverwaltungesgericht hat entschieden, dass Eltern für ein Kind, dessen Rechtsanspruch auf Verschaffung eines Kindergartenplatzes nicht erfüllt wird, einen Anspruch darauf haben, dass ihre Kosten für eine Unterbringung in einer privaten Kindertagesstätte ersetzt werden (BVerwG-Urteil vom 12.9.2013, 5 C 35.12).

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